Wer Helga Liebhäuser mit roten, wehenden Locken, anmutig und elegant mit ihrem Rolli durch die Stadt kurvend traf, musste sie nicht kennen, um zu ahnen, welche Kraft und Entschlossenheit von ihr ausging. Wer sie kannte, schätzte und liebte – und durch ihr vielfältiges Engagement sind das viele – wußte, worauf sich ihre Entschlossenheit fokussierte: Selbstbestimmt zu leben und anderen Menschen mit Behinderung, insbesondere auch Mädchen und Frauen bei diesem Ziel zu unterstützen.
Hier müsste man eigentlich fragen: Wie bitte? Selbstbestimmt leben? Ja, was denn bitte sonst!
Ja! Was denn sonst! Für Helga Liebhäuser war das keine Frage. Aber es war leider auch keine Selbstverständlichkeit. Um so mehr ist es zu bewundern, und um so schöner ist es, dass es ihr weitgehend gelungen ist. Was den Teil angeht, den sie selber in der Hand hatte, ist es ihr phantastisch gelungen.
Beschämend für jeden von uns, beschämend für die Gesellschaft ist allerdings, was ihr gelungen ist: In den eigenen vier Wänden zu leben, und nicht in einem Heim. Mit einem Partner. Mobil zu sein in einer Gesellschaft in der Barrierefreiheit, nicht zuletzt wegen Menschen wie Helga Liebhäuser auf der politischen Agenda steht, Barrierefreiheit in der Realität des täglichen Lebens aber eher die Ausnahme als die Regel ist. Persönlich und politisch teilzuhaben in Vereinen, Initiativen, Gremien. Und vor allem mit ihrem Verein „Selbstbestimmt leben“ gab sie Initiativen und Projekten Impulse, die auch nach ihrem Tod Bestand haben werden.
Denn sie hat andere mitgenommen auf diesem Weg, sie hat Freunde und Freundinnen, Unterstützer und Unterstützerinnen gefunden: Da wäre zu allererst ihr Mann Thomas Brückner zu nennen, der 16 Jahre Helga persönlich und politisch, dort laut und deutlich liebevoll unterstützte, wo Helga mit der ihr eigenen zarten, liebenswürdigen, melodischen Stimme leise kämpfte.
Da wären aber auch alle die Freunde und Freundinnen zu nennen, die selber im Rollstuhl leben und gemeinsam mit Helga und Thomas im Verein „Selbstbestimmt leben“ täglich den Finger in die Wunde legen, die der kleinen und großen Politik den Widerspruch zwischen Anspruch und Realität aufzeigen, die für sich und andere für „persönliche Assistenten“ kämpfen, die ihnen zustehen. Ein dorniges Unterfangen.
Denn von was reden wir, wenn ein Leben im Rollstuhl, ein Leben mit starken körperlichen Einschränkungen selbstbestimmt gelingen soll, so wie es Helga gelungen ist? Wir reden von barrierefreien Wohnungen. Wobei wir in Arnstadt was das angeht, auf der Haben-Seite wären. VWG und WBG haben in den letzten Jahren ein beachtliches, unterschiedlich konzipiertes Angebot entwickelt. Wir reden aber auch davon, hinzukommen, wohin man will. Da sieht es in Arnstadt schon düsterer aus: Obwohl in den letzten zwei Dekaden allein 40 Millionen an Städtebauförderung überwiegend für öffentliche Gebäude verbaut wurden, waren weder Bibliothek noch Schlossmuseum für Helga Liebhäuser zugänglich, gibt es keinen für Vereine wie „Selbstbestimmt leben“ regelmäßig zu nutzenden Vereinsraum, der schwellenfrei ist und(!) über geeignete sanitäre Einrichtungen verfügt. Hinzugehen, wohin man will ist – ja, leider – auch eine Frage der verfügbaren Toiletten. Oder einkaufen: Was hat Helga immer wieder geschimpft über Supermärkte mit ohnehin engen Gängen, die dann auch noch mit Aufstellern, Schütten und Paletten zugestellt sind.
Den Umzug des Frauen- und Familienzentrums in die barrierefreien Räume in der Rankestraße hat Helga nicht mehr erleben können. Doch auch das nicht zuletzt ein Etappensieg von Helga: Diesmal für die feministische Kämpferin, die sie auch war. Wissend, dass die Wahrnehmung und der Respekt des einzelnen und der Gesellschaft abnimmt in der Reihenfolge, Mensch oder Mann mit Behinderung hin zu Mädchen oder Frau mit Behinderung.
Es bleibt noch viel zu tun auf dem Weg zu einem selbstverständlich selbstbestimmten Leben. Helgas Heiterkeit, Lebensmut und Kampfgeist werden fehlen. Sehr fehlen. Um es mit den Worten ihres Mannes Thomas Brückner zu sagen: „Sie war unsere Vorreiterin der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung in Arnstadt und darüber hinaus. Helga hat alle mitgerissen!“