Arnstadt gedachte der nationalsozialistischen Pogromnacht heute vor 80 Jahren, die die Ermordung der europäischen Juden einleitete, in beeindruckender Weise. Judith Rüber und Jörg Kaps hatten eine Ausstellung gestaltet, die zu diesem Termin aus dem Milchhof, wo sie bereits zu sehen war, in das Rathaus umzog, und Bürgermeister Frank Spilling hatte seine Stadt aufgerufen, dem Gedenken beizuwohnen.
Als ein „Denkmal der Schande“ hatte der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Hecke das Holocaust-Denkmal in Berlin bezeichnet. Wir wissen: Er meinte damit nicht die Schande, die Deutschland durch den Mord an Millionen von Juden über sich gezogen hat. Er meinte die Erniedrigung, die DEUTSCHLAND durch die Existenz dieses Denkmals – seiner Meinung nach erzwungen durch auswärtigen Mächte – angeblich erleide. Eine der niederträchtigen Opfer-Täter-Umkehrungen, die der völkische Nationalismus so gerne bemüht.
Die Arnstädter Veranstaltung am 9. November 2018, 10 Uhr vormittags, war unter der Verantwortung des neuen Bürgermeisters Frank Spilling nicht nur sehr stimmig organisiert, sie war auch mit über 100 Bürgern der Stadt gut besucht. Sie hat gezeigt, dass die Stadt Arnstadt nicht bereit ist, diesem verächtlichen Höcke’schen Denken aus vergangenen Zeiten Raum zu geben.
Bürgermeister Spilling wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass der Geist, der zu den unglaublichen Vorgängen in unserer Stadt und in den Kellerräumen des Rathauses 1938 geführt hat, auch heute wieder verstärkt wahrzunehmen ist: Hass, Ausgrenzung und Verachtung derer, denen man bestreiten will, „zu uns“ zu gehören. Pfarrer Mathias Rüß ging in seiner Gedenkrede unter anderem der Frage nach, woran es wohl lag, dass im Osten des Landes, der „antifaschistischen“ Hälfte Deutschlands, überhaupt erst frühestens ab 1988, also nach 50 Jahren, dieser menschlichen Katastrophe gedacht wurde, und würdigte die Verdienste des ehemaligen Superintendenten Tittelbach, der sich als einer der ersten noch zu DDR-Zeiten des Themas annahm.
Schüler des Herder-Gymnasium rezitierten Texte von Zeitzeugen und lasen die Namen derer vor, die ermordet wurden. Judith Rüber leiteten den Fokus auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der aus einem damals vorherrschenden Geist der Aufklärung und Säkularisierung heraus eine kleine, wachsende und zuversichtliche jüdische Gemeinde die Armstädter Synagoge errichtete (1913), und auf die unsägliche Niedertracht, mit der die Stadtverwaltung Arnstadt nach der Pogromnacht von dieser Gemeinde 1000 Reichsmark forderte – zur Beräumung des Geländes.
Mikel und Gabi Damm rahmten die Gedenkveranstaltung durch sehr anrührende jüdische und weltliche Musik am Klavier und an der Blockflöte.
Die Arnstädter Gedenkveranstaltung hat aufgezeigt, dass das Erinnern unverzichtbar ist. Es scheint so zu sein, dass dort, wo die Ereignisse der Vergangenheit nur noch achselzuckend und unwissend als „was geht mich das an?“ verhandelt werden, wieder die Freiräume und Legitimationen entstehen für Hass, Rassismus und Niedertracht. Sie hat aber auch gezeigt, dass der aufgeklärte und freie Geist, der sich dieser Niedertracht nicht beugen will, in Arnstadt stark und lebendig ist.
Weitere Informationen zur Ausstellung über die jüdische Gemeinde zu Arnstadt und ihre Synagoge unter:
Die Bauten des Martin Schwarz // Die Synagoge zu Arnstadt (1913 bis 1938)