Was haben Preußische Husaren beim Arnstädter Festumzug verloren?

Hier, heißt es, seien sie gewesen, die Preussen: Erfurt, auf dem Petersberg. Aber in Arnstadt?

Hier, heißt es, seien sie gewesen, die Preussen: Erfurt, auf dem Petersberg. Aber in Arnstadt?

Am 18. Juni 2016 werden über 300 Arnstädter in einem festlichen Umzug durch die Stadt ziehen, um 750 Jahre Stadtrecht zu feiern. Der Aufwand und der Spaß im Vorfeld waren groß. Die 2. Beigeordnete Martina Lang, das Festkomitee, Ulrike Kücker und der Unternehmerverein, die Darsteller und viele Helfer haben alle Register gezogen für einen heiteren Festzug und ein großes Fest im Schlossgarten

750 Jahre Stadtrecht heißt 750 Jahre Bürgerrechte, heißt 750 Jahre Erstarken einer Bürgerschaft gegenüber Kirche und Obrigkeit. 750 Jahre Stadtgeschichte heißt 750 Jahre Gerichtsbarkeit und bürgerliche Freiheiten, heißt 750 Jahre Handel, Handwerk, Industrie, Kunst und Kultur. Hinter 750 Jahren Stadtgeschichte verbergen sich unzählige Lebensläufe von Frauen und Männern, die Arnstadt sein heutiges Gesicht geben. Ein Teil von ihnen wird im Festumzug mitziehen, Vögte und Knappen, Äbte und Mönche, Gräfinnen und Grafen, Fürstinnen und Fürsten, Bürgermeister, Ratsherren und BürgerInnen, Superintendenten, Handwerker, Händler, Marketenderinnen, Musiker, Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Sie alle sind Teil der Arnstädter Stadtgeschichte.

Doch diese zivile bunte Schar reichte den Verantwortlichen offenbar nicht aus, ein Regiment Preußischer Husaren wurde engagiert, den Festumzug zu eskortieren. Die Motivation dieser Wendung ins Militärische ist nicht erkennbar. Kein Ereignis von Rang ohne Heer? Parade statt Umzug? Uniformen statt Kostüme?

Was hat die Preußische Armee mit Arnstadts Geschichte zu tun?

Bei diesem Engagement hätte sich Fraktion DIE LINKE mehr Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein gewünscht: Die preußische Armee hat keinen Bezug zur Arnstädter Geschichte. Das jetzt engagierte 10. Magdeburger Husaren-Regiment des preußischen Kavallerieverbandes noch weniger, als es das 12. sogenannte Thüringer Husaren-Regiment gehabt hätte. Das wissen auch Presse und die Akteure, die Mitglieder des Deutschen Kavallerieverbandes e.V.. Das zeigt ein Interview des aktuellen Allgemeinen Anzeiges deutlich:

„In Arnstadt reiten Sie als preußische Husaren im Festzug mit. Welche Verbindung hat Thüringen mit Preußen?
Udo Schrötter: Erfurt gehörte zu Preußen, Bad Langensalza war preußische Enklave. Es gab verschiedene historische Ereignisse, die preußische Husaren in diese Gegend führten. Ein Beispiel ist das Drei-Monarchen-Treffen im Oktober 1813. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig hatten sich unter der Linde am östlichen Ortsausgang von Dornheim Zar Alexander I. aus Russland, König Friedrich Wilhelm aus Preußen und Kaiser Franz I. aus Österreich getroffen, um zu beraten, wie sie gegen Napoleons Truppen weiter vorgehen wollen.“

Dornheim soll es also richten. Dumm nur, dass Jürgen Frey, Förderverein Traukirche Dornheim, bereits 2013 erhärten konnte, dass der Preußische König an diesem Treffen nicht teilgenommen hat: https://de.wikipedia.org/wiki/Drei-Monarchen-Treffen

Wieso also die Husaren als Teilnehmer des Umzugs und des anschließendes Festes unter dem Motto „Arnstädter Originale“? Im zuständigen Ausschuss wurde sich über diesen Programmpunkt nicht verständigt. Die Autorin dieses Textes, Mitglied des Stadtrats und des Werkausschusses des Kulturbetriebs, erfuhr davon durch die Presse. Die Fraktion DIE LINKE bat dann am 5. Juni 2016 Bürgermeister und 2. Beigeordnete in einer Email um Aufklärung und teilte gleichzeitig mit, dass sie diesen militärischen Akt nicht mittrage. Die Email wurde nicht beantwortet. Einen Teil der Fragen beantworte jetzt aber der Allgemeine Anzeiger, der die Preußischen Husaren zum Titelthema erhob: http://www.meinanzeiger.de/arnstadt/sport/sie-sind-wieder-da-bechstein-alexis-und-die-preussischen-husaren-wie-arnstadt-am-samstag-750-jahre-stadtrecht-feiert-d61184.html

Mit diesem Interview wurde endlich, drei Tage vor dem Umzug, mitgeteilt, welcher Verein die Husaren stellt. Und damit war auch eine Einschätzung der Eskorte möglich. Es ist der Deutsche Kavallerieverband e.V./Waltershausen: http://www.kavallerieverband.de

Film-Projekt Deutsch Südwest

Dieser schreibt auf seiner Seite über sich selber:
„Der Deutsche Kavallerieverband e.V. ist ein Verein, der sich dem sportlichen, kavalleristischen Reiten in Deutschland verschrieben hat. Er ist eine Plattform für all diejenigen, welche sich der lebendigen Darstellung unserer Kavalleriegeschichte widmen.“

Also zum einen eine Art Reitsportverein, zum anderen ein Teil der vielfältigen Szene, die sich dem sogenannten Reenactment verschrieben haben, der Neuinszenierung historischer (bzw. militärischer) Ereignisse vom Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert.

Ein Blick auf Aktivitäten des Verbandes zeigt unter dem Stichwort „Rückblick 2016“ (neben der Inszenierung allerlei historischer Schlachten), dass Mitglieder des Verbandes im Mai dieses Jahres an einen Film-Projekt Deutsch Südwest stolz beteiligt waren: http://www.kavallerieverband.de/rückblick/rückblick-2016/filmprojekt-dswa/

Lebendiger Völkermord

Einem Filmprojekt, das sich im Web gut nachvollziehen lässt. Und das ist erschreckend: Aus der im Netz präsenten Vorschau des noch nicht veröffentlichten Film geht unmissverständlich hervor, was hier inszeniert wurde. Es ist der Völkermord an den Hereros und Nama in Deutsch Südwestafrika (heute Namibia) durch die sogenannten Deutschen Schutztruppen: Wir sind im Jahr 1908, den dort genannten Ort Bierwater scheint es eher nicht zu geben, der Mittelpunkt des damaligen Geschehens hieß Waterberg. Weiterhin eindeutig der Verweis in einem Zwischentitel auf Simon Koppers Banden (1:15 ff). Hier die Filmsequenzen:
„Kubusteak und Büchsenfleisch“ und „Maschinengewehrtrupp in Deutsch Südwestafrika“ https://vimeo.com/user29753120

Kooper – eigentlich ǃGomxab – war einer der letzten Nama, die sich bis 1908 dem Völkermord der Deutschen an Hereros, Nama und anderen widersetzte: https://de.wikipedia.org/wiki/Simon_Kooper

Keine Reflexion, kein Unrechtsbewußtsein

Der Film selber, aber auch das im Netz verfügbare Making of unter dem Titel „Maschinengewehrtrupp in Deutsch Südwest“ zeigen ein Geschehen, das ohne jede historische Reflexion und ohne jedwedes Unrechtsbewusstsein dargestellt ist. Der launige Titel „Ein Deutsch Südwestern“ und der offensichtliche Spaß der Akteure, die im Making of zu sehen sind, unterstreichen das. Zur Klarstellung und um Einwänden vorzubeugen: Jede Maschinengewehrsalve ist gerichtet auf (nicht im Bild auftauchende) Nama und andere einheimische Schwarze. Es war fast die ganze einheimische Bevölkerung, die ermordet wurde: Zehntausende, Männer, Frauen, Alte und Kinder.

Lothar von Trotha, der General des deutschen Kaisers, rief dazu auf: „Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Völkermord_an_den_Herero_und_Nama)

Ein Thema, das das durch die aktuelle Armenien-Resolution des Bundestages wieder an Aktualität gewonnen hat, Bundestagspräsident Lammert (CDU) schämte sich dieser Tage, dass Deutschland diese Schuld bisher nicht offiziell anerkannt hat:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article156181616/Lammert-fuer-Bekenntnis-zu-Voelkermord-an-Herero.html
http://www.spiegel.de/einestages/suedwestafrika-der-deutsche-voelkermord-an-den-herero-a-1073974.html
https://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/02565/index-5.html.de (Maschinengewehre waren im Kriegseinsatz neu)

Keine Einsicht in der Verwaltung

Jens Petermann, Frank Kuschel und die Autorin legten gestern diesen Sachverhalt Bürgermeister Dill, den beiden Beigeordneten und den Fraktionsvorsitzenden vor, mit der Bitte unter diesen Voraussetzungen von der Mitwirkung des Deutschen Kavallerieverbandes abzusehen und den Festumzug nicht durch dessen menschenverachtenden Aktivitäten zu beschädigen.

Ein Gespräch mit der 2. Beigeordneten Martina Lang ergab, dass das nicht der Fall sein wird. Martina Lang hat nach eigenen Angaben vor dem Festzug nicht die Zeit, sich mit dem gut aufbereiteten Material auseinander zu setzen und vertröstet auf den Zeitraum nach dem Umzug. In der Verwaltungsspitze sei zudem geäußert worden, dass dieser Völkermord eine Erfindung des britischen Kriegsgegners und der DDR-Geschichtswissenschaft zu Propagandazwecken gewesen sei – eine Auffassung, die das extrem rechte Spektrum deutscher Publizisten z.B. Wolfgang Kaufmann, Junge Freiheit oder Claus Nordbruch vertreten. Tayyip Erdoğan lässt grüßen.

Weiterhin teilte Martina Lang schriftlich zu dem Preußischen Regiment, das den Festzug begleiten wird, mit: „Es handelt um das 10. Regiment. Mir ist nicht bekannt, dass diese Husaren an irgendwelchen Völkermorden beteiligt waren.“

Eine kurze Google-Suche hätte genügt, um zu sehen, dass das nicht stimmt und hätte genügt zu erkennen, dass ein Verzicht auf den Auftritt des Husaren-Regiments des Deutschen Kavallerieverbandes e.V. zugunsten eines unbeschwerten und heiteren Festumzuges dringend angeraten gewesen wäre: https://de.wikipedia.org/wiki/Magdeburgisches_Husaren-Regiment_Nr._10 // Abschnitt 1816 bis 1866, letzter Satz, der sich auf die Jahre 1903/04 bezieht.

 

 

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