Die Gera, ihre Auen und das Quartier am Mühlgraben
Ein Arnstädter Winterspaziergang durch ein brachliegendes Quartier

 

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Verstrüppt und unzugänglich, der Fluß im Sommer unsichtbar: Gera-Promenade am Zusammenfluss Weisse und Gera.

„Nur wenige Ortschaften bieten in unmittelbarer Nähe so viele anmuthige Promenaden von mannichfachem Charakter, wie Arnstadt. Berg und Thal, Wald und Feld, reizende Gärten und schattige Alleen – und alles vom Silberband der Gera durchflochten!“ /
aus: Arnstadt Sool- und Flußbad, Heinrich Schwert, 1856 //

Die komplette Bildergalerie eines winterlichen Spaziergangs entlang der Gera gibt es hier.

Thüringen verfügt über eine reiche Kulturlandschaft, auch im wörtlichen Sinne: Bis heute ist die gelungene Gestaltung der Landschaft und der städtischen Aussenflächen und Reviere aus vergangenen Jahrhunderten vielerorts spürbar.

In Arnstadt allen voran im Schlossgarten, aber auch an der Hammerecke mit ihrer promenadenartigen Anlage, dem Teich und den Bäumen und den beiden steinernen Eisenbahnbrücken aus der Gründerzeit, ein besonders schöner, ruhiger Ort zum Flanieren und Verweilen. Andere Arnstädter Reviere dagegen scheinen erst durch Ihren Namen darauf zu verweisen, dass sie einst bessere Zeiten gesehen haben. So die Gera-Promenade und ihr linksgeraisches Gegenstück, der Anger.

Betrachtet man die Wasserläufe danach, wie sehr sie für die Bürger und Bürgerinnen als Freizeit und Erholungsangebot erschlossen sind, scheint sich die Gera in Arnstadt heute keiner wirklichen Wertschätzung mehr zu erfreuen. Genauer gesagt: Die Gera und ihr kleiner Ableger, der Mühlgraben, der am Kupferrasen von seinem Hauptgewässer abzweigt, durch das historische Zentrum und die alten Gewerbezonen fließt und erst kurz vor Ichtershausen, nach fast 5 Kilometern, wieder ins Bett der Gera einmündet. Oder einmündete. Denn der längste Teil des Mühlgrabens, nördlich der Innenstadt gelegen, liegt seit langem trocken und verwildert. Brach liegt aber nicht nur dieser Teil des Mühlgrabens, brach liegt in gewisser Weise auch das Potential an Lebensqualität, das ein fließendes Gewässer einer Stadt bietet. Besonders deutlich wird das im nördlichen Teil der Stadt.

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Stillgelegt: der Abzweig des nördlichen Mühlgrabens aus dem Bett der Weisse

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Sitzen am Wasser hat hohen Erholungswert. In Arnstadt vorbildlich realisiert an der Hammerecke

(zum Betrachten der Bilder bitte darauf klicken)

A. Die Gera-Promenade

Das Aufeinandertreffen zweier Flüsse ist immer ein besonderes landschaftliches Ereignis, und vielleicht ist es kein Zufall, dass die Arnstädter Schlossanlagen dort liegen, wo die Weisse in die Gera mündet. In seinem Buch über die Soolestadt Arnstadt beschreibt Heinrich Schwerdt 1856 diesen Zusammenfluß als eine besonders schön gestaltete Promenade der Stadt im Anschluß an den Schlossgarten wie folgt:

„Aus dem Schlossgarten führt eine Brücke auf das rechte Ufer der Gera. (…) Die wüsten Plätze, welche sonst von dem austretendem Flusse nicht selten überschwemmt wurden, hat die Stadtgemeinde mit Holzpflanzungen geschmückt, durch die sich Promenadenwege schlängeln.“

Besucht man heute die Gera an dieser Stelle, so scheint der Fluß und seine Böschungen seit langem sich selbst überlassen. Gestrüpp wohin man blickt, das Wasser im Sommer kaum einsehbar, die Wehre ungepflegt, die Brücken allesamt gesperrt und am verfallen, von einer Gelegenheit, sich dem Wasser zu nähern oder an ihm zu sitzen ganz zu schweigen. Doch was für ein besonderes städtisches Gebiet ist das!

Im Süden der Schlossgarten und die Promenaden der Hammerecke, im Osten die städtischen Sportanlagen, im Norden die sich verbreiternden Auenwälder der Gera und im Westen die alten Gewerbezonen mit Industriebauten aus der Gründerzeit, stillgelegten Gleisanlagen, dem Mühlgraben und so manchem aufgegebenen Fleck, den sich die Natur zurückerobert. In dieser Kombination von Naturlandschaft, Industriegeschichte, Wasserläufen, Wehren und Brücken, frei neuen Nutzungen offenstehenden Brachflächen und Sportplätzen, nicht zuletzt aber auch wegen einiger neuer Eigentümer, die private Liegenschaften wieder zum Leben erwecken (Altes Gaswerk, Blaudruck-Villa, Milchhof) birgt das Quartier „Gera-Promenade“ ein hohes Entwicklungspotential.

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Uneinsehbar, unbegehbar, ungesellig: die Gera beim Verlassen der Stadt Arnstadt im Jahre 2015

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Hier will man in der Sonne sitzen und dem Wasser zuhören: altes Wehr mit Fischtreppe

Wir sollten einen Ideenwettbewerb starten, was man hier neu gestalten und planen könnte. Welche Nutzungen und Bauten wollen die Arnstädter hier zulassen und fördern? Wohnen, Arbeiten, Erholen, Freizeit, Einkehren? Oder alles zusammen? Kann der Mühlgraben ganz oder teilweise wiederbelebt werden? Oder die Gera teilweise begehbar werden, damit man seine Beine ins Wasser hängen kann? Welche Blickachsen lassen sich am Wasser oder über es hinweg einrichten? Lassen sich die Wehre instandsetzen? Welche Wassersportmöglichkeiten biete das (gestaute?) Wasser der Gera? Die alten Gleisanlagen in (Teil eines) Laufparcours verwandeln? Warum gibt es keine Brücke vom Obertunk an den Anger?

Wenn die Stadt Arnstadt in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Lage war, Ihre Aussenflächen herausragend zu gestalten, warum sollten wir heute dazu nicht mehr in der Lage sein? Über eine Milliarde Euro stellt alleine die EU den Thüringer Kommunen im Rahmen des EFRE-Fonds für Regionale Entwicklung bis 2020 zur Verfügung. Das Geld ist da, allein es fehlt der Wille? Dabei könnte man schon mit einfachsten Maßnahmen das Gebiet aufwerten. Stichwort:

B. Der Gera-Radweg

Radtourismus wird immer beliebter, Familien, Sportler- oder Seniorengruppen bevölkern Europas Radwanderwege entlang der großen Flüsse oder historischer Routen. Und das nicht nur der Bewegung wegen. Mit dem Fahrrad kulturell interessante Destinationen abzufahren, wie zum Beispiel die Bach-Städte von Eisenach nach Leipzig, ist ein stark nachgefragtes Angebot. Die Kombination von Bewegung bis ins hohe Alter mit dem Museumsbesuch ist die Zukunft sowohl des Kulturtourismus wie des Freizeitsportes. So ist zum Beispiel der Ilm-Radweg von Ilmenau nach Weimar stark frequentiert und optimal ausgebaut und ausgeschildert.

Mit dem Gera-Radweg schaut es nicht so gut aus. Zwar sind fast alle Abschnitte inzwischen befestigt, aber genau in der hier besprochenen Region zwischen Arnstadt und Ichtershausen fehlt es nicht nur an einem wetterfestem und familienfreundlichen Belag, sondern auch an Rastplätzen, Einkehrangeboten oder Infotafeln. In anderen Worten: Wenn es regnet oder über den ganzen Winter hinweg, wenn nichts mehr trocknet, bedeutet der Gera-Radweg in weiten Teilen Radfahren im Schlamm. Da nützt dann auch die Schönheit des Rudislebener Auenwaldes wenig.

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Gera-Radweg bei Rudisleben: wunderschöne Auenwälder, bei Regen aber schlecht zu befahren. Im Winter auch schlammig, wenn es fünf Tage nicht geregt hat

Das wäre die Pflicht: asphaltieren. Die Kür in Sachen Ausbau der Radwege bestünde darin, neben einer asphaltierten „High-Lane“ auf den Dämmen der Gera einen gesandeten Genuß-Parcours einzurichten für die, die es nicht eilig haben, für die Jogger, Wanderer und Spaziergänger, die auch wissen wollen, wo sie sind und was sie hier eigentlich sehen. Mit Info-Tafeln zu Flora, Fauna, Geologie und Industriegeschichte, Aussichtspunkten, Haltestellen, Unterständen und natürlich auch gastronomischen Angeboten.

Für eine solche „Low-Lane“ sind die Gera-Auen von Arnstadt bis nach Ichtershausen prädestiniert. Diese könnte am See vorbeiführen, sich durch die Auensümpfe schlängeln, wahlweise über altes Kopfsteinpflaster und alte Gleisanlagen führen oder über weite Strecken einer anderen Route folgen: der des stillgelegten Mühlgrabens.

Mit diesem überhaupt hat es etwas besonderes an sich.

C. Der Mühlgraben

Der Mühlgraben zerfällt heute in zwei Teile: einen etwa einen Kilometer langen ersten Teil durch die Stadt bis zum Bett der Weisse, und einen zweiten, deutlich längeren stillgelegten Graben vom Dammweg bis hinter Rudisleben. Aber auch dort, wo noch Wasser fließt, ist der Mühlgraben meist unsichtbar, zumindest für die Öffentlichkeit. Man kann ihm nach seinem Abzweig aus der Gera am Alexisweg ein Stück weit folgen, kurz erblicken von seinen Brücken in der Karolinen-, Johann Sebastian Bach-, Längwitzer- und Neideckstrasse und dann wieder im Schlossgarten.

Eine einzige Stelle in der Innenstadt, an der das fließende Wasser des Mühlgrabens zum Verweilen einlädt, ja fast romantisch wird: das ist die Terrasse des Restaurants Colosseo, wo sich insbesondere im Sommer ein Hauch von Venedig einstellen kann. In seinem überwiegendem Verlauf bleibt das Wasser des Mühlgrabens als Moment der Erholung ungenutzt. Nun wurde sogar eine weitere Brücke gesperrt: die vom Theater zum Fischtor.

Ab dem großen Wehr im Bett der Weisse, das der Mühlgraben einige Meter nutzt und so die Weisse zu einem Flüsschen macht, verfällt der Graben über eine Strecke von fast vier Kilometern. Abgedeckt, zugewachsen, verwildert, vollgemüllt, vergessen, in gewisser Weise aber gerade deshalb auch von besonderem Reiz, läuft er auf einsamsten Pfaden Richtung Norden. Es ist ein Abenteuer der besonderen Art in einer Wildnis vor der eigenen Haustüre, dem Mühlgraben zu folgen soweit es möglich ist. Und es geht erstaunlich oft. Dann wandert man wie durch einen alten Hohlweg und entdeckt Dinge und Ausblicke, die dem normalen Bürger der Stadt nicht bekannt sein dürften. Gutes Schuhwerk ist allerdings erforderlich.

Eine Wanderung durch den Mühlgraben ist Abenteuerurlaub vor der Haustüre

Eine Wanderung durch den Mühlgraben ist Abenteuerurlaub vor der Haustüre

Die Mühle Arnshall. Das letzte noch stehende Bauwerk, das dem Mühlgraben seinen Namen gab

Die Mühle Arnshall. Das letzte noch stehende Bauwerk, das dem Mühlgraben seinen Namen gab

Erstaunlich ist, dass der der Mühlgraben straßenbautechnisch stets als wasserführender Graben behandelt wurde. Nirgendwo wurde er zugeschüttet, stets überbrückt, so auch am Autobahnzubringer Nord, wo der Graben jedoch selbst bereits so dornig verwildert ist, dass in ihm kein Durchkommen ist.

Eine besondere Begegnung inmitten des Waldes, fernab aller Wege und vollkommen verwildert ist eine Kreuzung des Grabens mit seinem traurigen Brüderchen, der stillgelegten Gleisanlage. Hier, wo der Kanal einst unter den Schienen der Bahn hindurchgeführt wurde, schimmert in der Wintersonne das Grün der Moose, die den Beton gefasst haben, und zwei alte Kabeltrommeln laden als Tische fast zum Picknick ein.

Stillgelegte Bahnstrecke meets stillgelegten Mühlgraben

Begegnung der verwunschenen Art: stillgelegte Bahnstrecke meets stillgelegten Mühlgraben

Man wird den Mühlgraben vermutlich nicht wieder Bewässern können und wollen, zumindest nicht auf seiner ganzen Länge. Man muß es auch nicht. Aber auch hier stellt sich die Frage: was kann man aus diesem alten Denkmal aus den Zeiten der mechanischen Nutzung der Wasserkraft alles noch erfahrbar und erlebbar machen? Und wenn es als Abenteuerpfad ist mit einer durchgehenden Wegweisung und Beschilderung und einzelnen Lichtungen des Unterholzes.

D. Der Auenwald der Gera und ein namenloser See

Während die Gera bei Arnstadt noch tief eingeschnittenen schwer zugänglich ist, verwandelt sich das Flussbett auf der Höhe Rudisleben in eine Auenlandschaft. Das Gewässer wird breiter und seichter und ist bei normalem Wasserstand auch gut zu durchwaten. Einzelne Bereiche des Waldes sind tatsächlich so sumpfig, dass es keine Durchkommen gibt. Andere Gebiete sind licht und von Schilfen geprägt. Eine erstaunliche Ruhe umfängt diese Landschaft, wenn man bedenkt, dass die Ichtershäuser Strasse nur wenige Meter entfernt ist. Ein trauriges, vollkommen verschmutztes Schild einer „Unteren Naturschutzbehörde“ weist darauf hin, dass wir uns in einem „geschützten Landschaftbestandteil“ befinden.

Auenwald mit Sumpfgebieten: hier ist kein Durchkommen

Auenwald mit Sumpfgebieten

Einsame Schönheit in der Wintersonne

Einsame Schönheit in der Wintersonne

Im Unterschied zu den Weiten der Weiden und Wälder bei Rudisleben, die nur jenen bekannt sein dürften, die hier mit dem Rad oder zu Fuß hindurchkommen, kennt ein anderes Kleinod jeder Arnstädter, weil er regelmäßig daran vorbeifährt: Der See östlich der Ichtershäuser Straße, der wie es scheint so namenlos ist, dass er beim heimischen Anglerverein nur als „Große Kiesgrube“ firmiert. Das ist ungerecht. Dieser See hat nicht ein beachtliches Ausmaß von 200 auf 300 Meter, er ist von altem Baumbestand umgeben, der ihn von der Ichtershäuser Straße optisch trennt und, vor allem, ist er im Unterschied zu vielen Kiesgruben sehr gut begehbar, mit sanften Uferböschungen; Hecken und Wiesen.

Der Rudislebener See, wie ich ihn nennen möchte, hat zusammen mit dem dahinterliegenden Auen der Gera, dem Mühlgraben und all den Spuren einer industriellen Vergangenheit ein großes Potential für Erholung, Sport und Freizeit und sollte in einem integrierten Gesamtkonzept Teil werden einer Aufwertung der gesamten bis heute vernachlässigten Zone zwischen Ichtershausen und Arnstadt. Mit einer einfühlsamen Bebauung aus Holz, Stegen, gesandeten Wegen, Kinder- oder Abenteuerspielplätzen und Verweilplätzen, die dazu einladen, im Sommer der untergehenden Sonne über den See hinweg zuzusehen.

Wäre das nicht ein schöner Badesee?

Die „Große Kiesgrube“ vor Ichtershausen: Was könnte man daraus machen?

Die komplette Bildergalerie eines winterlichen Spaziergangs entlang der Gera gibt es hier.

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