Wohin mit dem Bismarck-Brunnen?

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// Da soll er hin, der Brunnen zu Ehren des Reichskanzlers, wenn es nach dem Brunnenverein geht: möglichst weit weg vom jungen Bach, aber unbedingt auf den Markt. Optionaler Standort 1: Gefahr der Überfrachtung mit Kunst? //

Es gibt städtische Streitthemen, die sind deswegen so knifflig, weil sich in ihnen politische, technische, ästhetische und finanzielle Argumente vermengen. Die Wiederaufstellung des im Kriege demontierten und nach der Wende wieder aufgetauchten Brunnens zu Ehren des Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815–1898), errichtet vom Dresdner Professor Georg Wrba 1909, ist so ein Thema. Versuch einer Sortierung.

Wer war eigentlich Bismarck? Was aus dem Schulunterricht in der Regel hängen geblieben ist: er war im Deutschen Kaiserreich der Reichskanzler, der Deutschland unter preussischer Führung geeinigt hatte. Endlich Schluss gemacht hatte er mit der sogenannten „Kleinstaaterei“, die bekanntlich hier in Thüringen am tollsten ausgebildet war (mit Ländern mit so seltsamen Namen wie Schwarzburg-Sondershausen). Das wird ihm hoch angerechnet, wenngleich Dagmar Schipanski, bis 2004 Kultusministerin Thüringens, einst richtig feststellte: „Diese Kleinstaaterei hat sich als durchaus segensreich erwiesen“. Unter Bismarck entstand eine Sozialgesetzgebung, wie sie im wesentlichen noch heute funktioniert (gut), und die Sozialistengesetze, mittels derer Sozialdemokraten als Staatsfeinde verfolgt wurden (schlecht). Außerdem ist spätestens seit Bismarck „Preusse“ in Bayern ein Schimpfword („Saupreiß“).

Man merkt: alle lieben ihn nicht, den Bismarck, schongleich gar nicht die Linken. Für andere wiederum, die sich schon mal gerne ihrer „preussischen Tugenden“ rühmen, ist Bismarck bis heute ein nationaler Held. Im Streit um den richtigen Ort der Wiederaufstellung dieses Brunnens wird somit auch ein politischer Stellvertreter-Kampf gefochten: welche Bedeutung und welchen Respekt gewähren wir heute einem konservativ-preussischen Verständnis von nationaler Einheit? Oder gehört dieser Brunnen zu Ehren dieses Junkers und Arbeiterfeindes nicht am besten gleich eingeschmolzen?

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Optionaler Standort 2: vor dem ehemaligen Fürst-Günther-Gymnasium alias Neideck-Gymnasium. Platz, passende Umgebung und Wasseranschlüsse vorhanden.

Auch wenn es keiner so recht aussprechen will: darum scheint es mir in erster Linie zu gehen, wenn darüber gestritten wird, wo der Brunnen wieder aufgestellt werden soll.

Hinzu kommt eine zweite Dimension, die in der Tat nicht ganz unbedeutend ist. Während der inzwischen gut 70-jährigen Absenz des Brunnens hat sich nämlich ein zweites Symbol nationalen und lokalen Stolzes auf dem Markt breit gemacht, und zwar mit gutem Erfolg: Johann Sebastian Bach beherrscht in provokanter Opposition zum Rathaus das Geschehen auf diesem zentralen Platz. Und Bach ist der Platzhirsch, daran traut sich keiner zu rütteln. Die Frage ist nur: ist der Platz groß genug bzw von seiner Struktur her geeignet, ein zweites, großes, aus Bronze gegossenes Monument von sechs Metern Höhe und fünf Metern Breite (mit allen Becken) aufzunehmen? Die Überzeugung, dass Bach und Bismarck keine gute Liaison abgäben auf dem Arnstädter Markt ist durchaus verbreitet.

Eine dritte Ebene der Diskussion ist die denkmalpflegerische. So wird bisweilen argumentiert, der Brunnen sei zweifelsfrei Teil der Arnstädter Kulturgeschichte, ob er einem nun gefalle oder nicht, und als solcher gehöre er wieder aufgestellt, und zwar möglichst am ursprünglichen Ort, bzw diesem möglichst nahe. Eine Argumentation, die mit der Doppeldeutigkeit des Begriffes Denkmal spielt. Der Brunnen ist zwar ein Denkmal zum Gedenken Bismarcks, meines Wissens aber kein Kulturdenkmal im Sinne des §5 der Thüringer Denkmalschutzverordnung. Die Bürger der Stadt sind frei zu entscheiden, ob und wo sie den Brunnen wieder aufstellen wollen. Eine höhere Notwendigkeit im Sinne denkmalpflegerischer Aspekte für den Markt als Standort gibt es nicht.

Bleibt eine letzte, vierte Ebene, die interessanterweise ähnlich der politischen Ebene kaum eine Rolle spielt in den öffentlich ausgetauschten Argumenten: die Frage nach dem ästhetisch-künstlerischen Wert von Prof. Wrbas Brunnenplastik. Kunst-bashing ist in Zeiten der Post-Post-Moderne, wo wir uns an alles gewöhnt zu haben scheinen, ziemlich aus der Mode gekommen. Das war zu Zeiten der Aufstellung des Brunnens noch etwas anders, da hat eine Zeitschrift namens „Über Land und Meer“ folgendes zu Wrbas Werk vermeldet:

„Wie die leidige Sucht, in der Kunst etwas noch nie Dagewesenes, ganz Voraussetzungsloses zu schaffen, auch begabte Künstler auf Abwege führen kann, davon ist der Bismarckbrunnen in Arnstadt ein trauriges Beispiel. Was der jetzt in Dresden lebende Professor Wrba sich eigentlich bei diesem Monstrum gedacht hat, was wir bei seinem Anblick empfinden sollen, ist sehr, sehr dunkel“ (Zitiert nach Arnstädter Chronik)

Nun muß der Konservatismus der vorletzten Jahrhundertwende, der es wahrscheinlich am liebsten gesehen hätte, wenn der Herrn Reichskanzler persönlich in Überlebensgröße aufgestellt worden wäre, für uns kein Leitbild sein. Sicher aber kann man festhalten, dass der Brunnen, wie man es heute im elitären Kunstmarkt-Jargon formulieren würde, eine „eigenständige Position“ repräsentiert und technisch-handwerklich ein beeindruckender Bronzeguss von hoher Qualität ist.

Wohin also mit dem Bismarck-Brunnen?

Bevor man diese Frage seriös beantworten könnte, müßten als erstes klare Aussagen der Stadtverwaltung vorliegen, an welcher Stelle sich der Brunnen überhaupt aufstellen ließe und mit jeweils welchen Kosten. Denn der Brunnen benötigt nicht nur einen Wasseranschluß, sondern umfangreiche Tiefbaumaßnahmen, die nicht überall ausgeführt werden können, zumindest nicht zu vertretbaren Kosten. Für welchen Standort gibt es staatliche Fördermittel, usw? Zu Fragen wie diesen hat Eberhard Pfeiffer auf seinem Blog unter der Überschrift „Bereich Litfaßsäule“ alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt: Den Bürgern der Stadt wird eine Entscheidung zugewiesen, ohne dass die technisch-finanziellen Grundlagen für diese Entscheidung bereitgestellt wären. Ein weiteres Armutszeugnis der Verwaltung Dill.

Für mich persönlich sind – unter dem Vorbehalt dieser technischen und finanziellen Fragen – folgende Gesichtspunkte relevant:

1_ das Nebeneinander von Bach und Bismarck empfinde ich aus ästhetischen, inhaltlichen und historischen Gründen als unglücklich. Der Markt ist stärker von der Renaissance und dem Barock geprägt als von der Gründerzeit, er ist sogar eine der wenigen dreieckigen Renaissance-Marktplätze, die Deutschland noch aufweisen kann. Bach passt hier besser hin als ein Bismarck-Brunnen, ein Denkmal aus der wilhelminischen Kaiserzeit. Zudem sind beide Kunstwerke stark Aufmerksamkeit-erheischend, was den Markt tendenziell überfrachtet und überlädt: der Platz ist ja vor allem ein Raum-Erleben von besonderer Qualität und steht für sich, er braucht kein zweites Kunstwerk. Der Arnstädter Markt ist kein Freiluft-Museum für Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts.

2_ Hinzu kommt, dass bei der Aufstellung im „Bereich Litfaßsäule“ stillschweigend unterstellt ist, dass die ebenfalls seit hundert Jahren dort stehende historische Litfaßsäule versetzt wird. Oder gleich ganz abgerissen? Nun kann man sagen: sind doch sowieso fast immer leer! Aber das muß sich ja dringend ändern. Die Litfaßsäulen sind das Schwarze Brett der Stadt, hier signalisieren wir Besuchern, was los ist. Dass Arnstadt es nicht fertigbringt, die reichlichen kulturellen Aktivitäten in der Stadt (und auch in der Umgebung, zB Konzerte in Dornheim oder Ausstellungen in Gotha) in Form von Plakaten an den vier Säulen der Stadt durchgehend und säulen-füllend zu kommunizieren bzw. die Vereine und Kulturträger dorfhingehend zu unterstützen, ist ein trauriger Zustand, der geändert werden sollte.

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Option 3: Platz der Versöhnung, der den Bahnhof mit der Altstadt verbindende Platz im Gründerzeitviertel. Hier könnte der Brunnen beitragen zur Aufwertung des Platzes und seines Quartiers.

3_ Zugleich bietet der Bismarck-Brunnen auch einen Chance, nämlich einen Platz und ein Quartier aufzuwerten, das dringend einer Überholung, Neuplanung und Aufhübschung bedarf, im Sinne einer Steigerung der Aufenthaltsqualität. Der Platz der Versöhnung ist eigentlich ein sehr schöner Platz, umgeben von historischer Bebauung und sehr grün, zugleich stets verwaist und leer. Der Bismarck-Brunnen, hier aufgestellt, könnte diesen Platz und damit das Bahnhofsviertels aufwerten. Relativ mittig aufgestellt, mit einer Wegeführung, die sich am Brunnen orientiert und mit Sitzbänken, Blumenbeeten, Hecken  und Spielplatz ausgestattet, würde der Bismarck-Brunnen sich nicht nur in passendem Umfeld (Brunnen und umgebende Bebauung sind aus der gleichen Zeit) präsentieren, sondern auch eine städtebauliche Funktion erfüllen: als Anker für die Aufwertung eines ganzen Quartiers. Seiner Akzeptanz auch unter denen, die ihn nicht lieben, würde das sicherlich auch gut tun!

Aus all diesen Gründen plädiere ich für die Aufstellung auf dem Platz der Versöhnung (nomen est omen), inmitten des gründerzeitlichen Bahnhofsviertels. Da ich dafür jedoch Stimmzettel-bedingt gar nicht stimmen kann, werde ich gegen die Aufstellung auf dem „Markt, Bereich Litfaßsäule“ stimmen.

Jan Kobel

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