Alexander Mayrhofer von der Thüringen Tourismus GmbH fragt: „Können Sie mir den Unterschied erklären zwischen Kulturpolitik, Tourismusförderung und kommunaler Identität? – Ich nicht!“
// Dienstag, Markttag in Arnstadt, 11:00 Uhr vormittag. Viele waren nicht in den Rathaussaal gekommen zur Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung „Stadt erleben – Neue Wege in Kultur-und Individualtourismus“, angestossen durch die Stadträtin und Landtagsabgeordnete Eleonore Mühlbauer (SPD). Darunter jedoch einige auch aus umliegenden Gemeinden, wie Heinz Blei von der Thüringeti in Crawinkel oder Dr. Jürgen Frey von der Traukirche in Dornheim. Für’s Netzwerken und über die Grenzen schauen waren somit gute Voraussetzungen gegeben. Es lohnte sich, denn zwei Voraus-Denker in Sachen Kultour-Wirtschaft aus Erfurt waren eingeladen. Sie kamen mit klaren Ansagen, wo die Stärken der Thüringer Kulturlandschaft liegen – und wo dringend umdenken erforderlich ist.
Alexander Mayrhofer, Leiter des Kompetenzzentrums der Thüringer Tourismus GmbH, stellte in seinem Vortrag einen touristischen Paradigmenwechsel vor, der überall zu beobachten sei. Es seien gar nicht so sehr die kulturellen oder baugeschichtlichen Sensationen, die die reisenden Menschen, mit dem Kulturführer unterm Arm, in fremde Städte und Regionen locke.
Viel wichtiger sei, dass eine Stadt einlade zum Flanieren, Selbstentdecken, gemütlich Einkehren und Sich-Verlieren in einer authentischen, gerade nicht touristisierten und historisch gewachsenen Stadt. Städte wie Erfurt oder Arnstadt haben, neben ihren Kirchenbauten, Theatern und Museen, diesbezüglich mehr zu bieten als viele Städte in Westdeutschland, die, wenn nicht durch den Zweiten Weltkrieg, dann oft durch die Zerstörungen einer falsch verstandenen Moderne entseelt wurden. Hinzu komme eine die Thüringer Städte umgebende Landschaft, die in Sachen Naturerleben oder Sport ebenfalls ein Alleinstellungmerkmal bietet.
Laut Mayrhofer liegt die Zukunft des Tourismus in einem Nebeneinander von Kulturerleben und Naturerleben. Hier ist Thüringen erst einmal sehr gut aufgestellt. Wobei „Kulturerleben“ in diesem Sinne ein weiter Begriff ist, der gleichermaßen ein unfertiges Industriedenkmal, einen Lokschuppen, eine Theatervorführung oder ein Szene-Café umfassen kann. Man könnte auch sagen, der Tourismus der Zukunft liegt in einem immer weniger „touristischem“ Begriff von Reise-Erleben. All das, was in der klassischen Lesart von Politik bislang unter so verschiedenen Rubriken wie Kulturpolitik, Standortpolitik oder Stärkung kommunaler Identität verbucht wurde, kann und muss zum Faktor von Tourismus werden – und damit zum einem Wirtschaftsfaktor, dessen Bedeutung und Potential bis heute immer noch gerne unterschätzt wird.
Der zweite Impulsvortrag kam von Georg Maier, Staatssekretär im Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft. Maier, aus dem Südbadischen stammend und zuletzt im Rhein-Main-Gebiet tätig, hatte sich mit Antritt seines Amtes vor 18 Monaten erstmal die Wanderschuhe geschnürt und ist den Rennsteig abgelaufen. Darüber hinaus bereist er Thüringen regelmäßig an Wochenenden mit der Familie, um sich selbst ein Bild zu machen, wie es steht mit dem Tourismus im Freistaat.
Nicht alles was er dabei erlebte, hat ihm gefallen, vor allem im Bereich Gastronomie und Hotellerie, so Maier, sei Thüringen zu oft noch zu weit von dem entfernt, was man als Reisender mit überregionaler und internationaler Erfahrung erwarte. Und er sagt: „Ich bin mir bewußt, dass das Image Thüringens in Frankfurt zum Beispiel schlecht ist und die wenigsten dort sich vorstellen können, hier einmal Urlaub zu machen. Wir stellen aber auch fest, dass die, die wir dann doch einmal hergelockt haben, dann auch gerne wiederkommen. Das Potenzial ist da.“
Georg Maier ist davon überzeugt, dass es gelingen müsse, die Menschen emotionaler anzusprechen. Besondere Bedeutung räumt er hier der Musik und in Thüringen insbesondere Johann Sebastian Bach ein.
Als Schlüsselerlebnis hierzu schilderte der Staatssekretär eine Begegnung in der Arnstädter Bachkirche: Angelockt vom Orgelspiel betrat er die Kirche und traf auf eine Gruppe finnischer Organisten, total beseelt vor Glück, auf „seiner“ Orgel gespielt und an „seinem“ Spieltisch gesessen zu haben! Diese Emotionen seien es, so Maier, die die touristischen Ströme lenkten, und an Angeboten dafür sei Thüringen übervoll. Dies gelte auch für die kommenden Jubiläen Bauhaus und Weimarer Republik 2019, beides emotional stark besetzte Themen.
Dass ein Staatssekretär aus dem Ministerium für Wirtschaft, oberster Instanz in Sachen Tourismus und Gesellschafter der Thüringen Tourismus GmbH, sich – zurecht – derart selbstkritisch äußert über den Zustand der Thüringer Gastronomie und Hotellerie, ist neu. Dass Georg Maier als schlagendes Beispiel für eine emotionalere und zugleich professionellere Ausrichtung des Thüringer Tourismus als erstes Johann Sebastian Bach einfällt, ist dagegen geradezu spektakulär.
Denn bis heute spielt Bach, dessen touristischer Markenwert international in der absoluten Oberliga spielt – auf Augenhöhe mit Johann Sebastian Bach sind einzig Megastars wie William Shakespeare oder Leonardo da Vinci – in der touristischen Vermarktung des Landes scheinbar eine nachgeordnete Rolle: hinter seinen sogenannten touristischen „Leuchttürmen“ wie der Weimarer Klassik, Goethe und Schiller, hinter Luther und der Wartburg, hinter Erfurt und dem Rennsteig.
In Sachen Bach fehlt es in Thüringen einfach an vielem: an Vernetzung und Konzertierung der Bach-Städte und Bach-Stätten, an internationaler Bewerbung der Konzerte und Festivals, an Pressezuarbeit für Feuilletons und Reisemagazine, an einer bach-in-thueringen.de-Internetplattform und einem gedruckten, wertigen und zweisprachigem Jahresprogramm.
Böse Zungen sagen: seien wir froh darum, denn wenn die Bach-afficionados aus aller Herren Länder, insbesondere Asiens, erst einmal Thüringen entdeckten und Jahr für Jahr zu hunderttausenden kämen, so wie nach Salzburg wegen Mozart, dann wüssten wir ja gar nicht wohin mit ihnen!
Aber dieser Sarkasmus sollte uns eigentlich Ansporn sein, einen Individual-Tourismus aufzubauen, der das Erlebnis Thüringer Residenzstädte von Altenburg bis Schmalkalden kommuniziert, mit den Kernmarken Bach und Barock. Ansporn, aufregend tolle Hotels zu bauen, in denen man sich wohl fühlt, und eine Restaurant- und Tischkultur zu fördern, die nicht die Variationen auf der Speisekarte zählt, sondern auf regionale Küche, frische Zubereitung und freundlichen Service setzt – und ein Raumerleben bietet, das die Geschichte von Architektur nicht hinter Trockenbau und Laminat verstecken will, sondern erlebbar macht.
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